Die Pforte
oder: Wieso zweimal?
17.40Uhr, eine gute Zeit zum Sterben.
17.45Uhr, es schellt an der Tür. Gevatter Tod lächelt mich schuldbewusst an.
„Reichlich spät, mein Lieber!“
„Versuch Du mal um diese Zeit durch den Berufsverkehr zu kommen!“
„Na ja, ich dachte Du – darf ich Dich eigentlich duzen?“
„Schon gut, wir sind ja jetzt quasi so was wie…Partner“
„Okay. Ist ja auch egal, Hauptsache du bringst mich jetzt weg…oder was passiert jetzt?“
„Leute mit Anstand und Manieren bieten mir normalerweise Kaffee oder Tee an, aber davon hatte ich heute schon reichlich. Scheint ein guter Tag zum Sterben zu sein…lass mich raten: Sonntag?“
„Jupp.“
„Wusste ich’s doch. Der Tag des Herrn hat eine sonderbare Wirkung auf euch Suizidalisten.“
„Suizidalisten?“
„Meine Wortschöpfung, eine Mischung aus Suizid und Alist.“
„Alist, aha.“
„Joa, gut. Äh, dann…wollen wir mal los?“
„Gerne, mich hält hier nichts mehr.“
„Du hast ne Monatskarte?“
„Ja?“
„Nichts ist umsonst, nicht mal die Reise ins Jenseits“
An der Straßenbahnhaltestelle angekommen vergeht keine Minute, da kommt auch schon die Bahn. Tod macht allerdings keine Anstalten einzusteigen, also bleibe ich neben ihm stehen. Die Bahn piept kurz und fährt davon.
„Zigarette?“
„Nichtraucher – ach was soll’s, auch schon egal.“
„Rauchen tötet. Pah, dass ich nicht lache!“ Ich verrate Dir jetzt mal ein kleines Geheimnis. Was die Menschen wirklich tötet ist dieses verdammte kleine…
[das Vorbeirauschen eines 20-Tonners verschluckt den Rest des Satzes]
…würdet ihr endlich damit aufhören hättet ihr 10 Jahre länger zu leben - mindestens!“
„Kannst Du das bitte noch mal wiederholen, da fuhr ger…“
„Aaaah, da kommt sie ja – die Straßenbahn des Todes. Pünktlich eine Minute nach jeder gewöhnlichen Straßenbahn fährt sie ein. Von den Lebenden selbstverständlich unentdeckt. Eine geniale Erfindung. Gelobt sei Gott der Allmächtige!“
„Danke“
„Wer hat das gesagt?“
„Gott, wer sonst?“
„…“
„Zu deiner Rechten kannst Du jetzt den Jordan sehen, ein mächtiger Strom! Mit schönen Badestränden…nur so nebenbei!“
Ich sehe nur einen kurzen blauen Strich, der jedoch innerhalb kürzester Zeit von einem grau-grünen Oktogon abgelöst wird.
Die Bahn verlangsamt ihr Tempo und die unfassbar schöne Stimme erklingt wieder:
„Nächster Halt: Himmelspforte. Endstation, bitte alle aussteigen!“
„Die Zeit verging ja wie im Flug! Aber keine Angst, so etwas wie Zeit gibt es im Himmel nicht mehr, nur noch… Ja, was eigentlich? Schwer zu beschreiben, mach Dir am besten selbst ein Bild davon.“
„Ich komm in den Himmel? Ganz ohne Fegefeuer oder sonstige Aufnahmeprüfungen?
Was ist denn mit all meinen begangenen Sünden?“
„Ach, die Zehn Gebote sind mehr als Richtlinien zu sehen. Gott dacht man kann so das
Miteinander der Menschen besser regeln. Aber ihr macht euch ja doch Eure eigenen Regeln und Gesetze…“
„Also ist aller Anstand umsonst?“
„Nein, so würde ich das jetzt nicht…obwohl…doch.“
„Egal, Hauptsache ich kann jetzt endlich in den Himmel.“
„Erwarte bloß nicht zu viel…“
Mit diesen Worten verschwand er und ich stand vor einem hellblauen Gartentor mit der Aufschrift: >Eden<
Darunter hing ein selbst gebasteltes Schild mit krakeliger Schrift:
>Das Füttern der Einwohner mit Äpfeln ist strengstens Verboten!<
Die drei Klingelschilder neben dem Tor waren kunstvoll beschriftet:
Adam + Eva
Petrus
Gott (bitte 2x klingeln)
Ich klingelte zweimal bei Gott – keine Reaktion.
Petrus dagegen meldete sich augenblicklich und ließ mich rein. Ein tiefer Summton signalisierte dass das Tor jetzt offen war, und ich trat ein.
Ganz schön unspektakulär.
Wie es weitergeht erfahrt ihr aber ein andermal – vielleicht.